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Der wichtigste Grund hierfür liegt wohl darin, dass nicht ein einziger Experte in dem Gremium vertreten war. Beobachtern war schon 2020 aufgefallen, dass in der öffentlichen Debatte um die „Epidemie“ die eigentliche Fachwissenschaft, nämlich die Epidemiologie, nicht vorkam. Stattdessen ernannte Scholz ausschließlich Fachfremde, die sich zuvor in den Medien durch Radikalität profiliert hatten, an der Spitze die Befürworter des chinesischen NoCovid-Ansatzes um die Virologin Melanie Brinkmann, den Physiker Michael Meyer-Herrmann und den Tierarzt (und RKI-Chef) Lothar Wieler.

Zweiter Grund für Entsetzen und Wut ist der Charakter der Verhandlungen des Expertenrats, der sich am besten mit dem Ausdruck „Stammtisch“ beschreiben lässt. Es fand kein strukturierter Diskurs statt, bei dem begutachtete Fachartikel und epidemiologische Fakten und Daten vorgestellt und erörtert wurden. Nur selten ging es wenigstens um Material auf dem Niveau vorläufiger Diskussionspapiere, meist aber um reines Wortgeklingel, Spekulationen und was man gerade in der Zeitung gelesen hatte.

Die in den Geheimprotokollen fixierten Schlussfolgerungen sind ebenfalls abenteuerlich, und man würde darüber lachen, wenn die Angelegenheit nicht so ernst wäre. Betrachten wir etwa eine der Kernbotschaften aus dem Protokoll der 10. Sitzung:

„Wenn Zahlen stabil gehalten, gutes Frühjahr und guter Sommer“

Das ist nicht nur infantil formuliert, sondern vor allem ungenau (welche Zahlen) und zirkulär, da die Experten „gut“ nicht an klinischen Indikatoren wie Krankheit und Tod festmachten, sondern an ihren ominösen Zahlen. Folglich war die sogenannte Kernbotschaft so informativ wie die Bauernweisheit „Wenn der Hahn kräht auf dem Mist, ändert sich das Wetter, oder es bleibt, wie es ist.“

Im Grunde besteht das ganze Konvolut aus drei Punkten: Es besteht höchste Gefahr, wir brauchen Maßnahmen, und vor allem müssen wir impfen, impfen, impfen. Während der niemals ordentlich belegte Nutzen der Impfung sämtliche Protokolle durchzieht und an keiner Stelle infrage gestellt wird, kommt der Begriff „Nebenwirkung“ genau einmal zur Sprache, nämlich im Protokoll der 12. Sitzung, als die Experten „Nuvaxovid“ von Novavax als Alternative zu den genbasierten Impfstoffen empfehlen. Es entbehrt nicht einer gewissen Tragik, dass Nuvaxovid laut Paul-Ehrlich-Institut ausgerechnet der Impfstoff mit den häufigsten Nebenwirkungen pro Impfdosis ist.

Im Nachgang versteht man den dringenden Wunsch der Bundesregierung nach Geheimhaltung der Protokolle nur zu gut. Sie verdeutlichen nämlich jedem Leser, dass es bei der Veranstaltung „Expertenrat“ nicht etwa um die wissenschaftliche Begründung extremer Grundrechtseingriffe ging, sondern eine Gruppe eitler Pseudo-Wissenschaftler in Anwesenheit eines Drei-Sterne-Generals und oft auch des Gesundheitsministers als Feigenblatt für Maßnahmen herhielt, über die schon vorab politisch entschieden worden war.

Aus meiner Sicht ist das ein beispielloses Politikversagen, das durch die vorgeschobenen Ausflüchte der Bundesregierung für Geheimhaltung und Schwärzung noch übertroffen wird. Im eingangs verlinkten Schreiben behauptet die Regierung nämlich: „Es ist davon auszugehen, dass die Reichsbürger- und Querdenkerszene durch Kenntnisnahme entsprechender Informationen einzelne Mitglieder, die möglicherweise für besonders einschneidende Maßnahmen plädiert haben, zur Zielscheibe ihrer Gewalt nimmt.“ Als jemand, der an vielen Grundrechtedemos teilgenommen und dabei friedliche Normalbürger angetroffen hat, kann ich über solchen Nonsens nur den Kopf schütteln. Das Diffamierungsmotto „Wird der Bürger unbequem, ist er plötzlich rechtsextrem“ ist zwar aktueller denn je, aber zu durchsichtig.